Kontakt ist heilsam – Einsamkeit macht Menschen krank

Pfarrerin Claudia Weingärtler leitet die Evangelische Klinikseelsorge am Universitätsklinikum. Den Lockdown von März bis Mai hat sie als sehr intensive Zeit im Klinikum erlebt. Da Termine und Gottesdienste weggefallen sind, blieb viel Zeit, Patienten und Angehörige, wenn auch oft nur über das Telefon, zu begleiten. Als Pastoralpsychologin sah sie mit Sorge, wie sehr manche Menschen unter der Isolation leiden. Seelsorge ist für sie gerade in dieser fordernden Corona-Zeit eine wichtige Institution, um Menschen zu stützen und zu ermutigen.

Geduldig hat die fast 90 jährige Dame auf mich gewartet. Jeden Nachmittag komme ich im Moment bei ihr vorbei. Sie freut sich und weiß schon genau, was sie alles von mir braucht. Ich muss was im Nachtkasten suchen, ein paar kleine Handgriffe erledigen. Dann erzählt sie mir von einem Artikel, den sie gerade gelesen hat. Beiläufig lässt sie einfließen, dass sie sich immer schwächer fühlt und nicht weiß, wie es weiter gehen soll. Bevor ich gehe, wünscht sie sich manchmal einen Segen, manchmal bittet sie mich, die Telefonnummer ihrer Tochter zu wählen. Ihre von Rheuma verkrümmten Finger können das nicht mehr.

Fast während des ganzen Lockdowns im Frühjahr war sie im Klinikum, sehr bemüht durchzuhalten und niemandem zu viel Arbeit zu machen. Jede Geste und Zuwendung von Ärzten, Pflegendenden, der Physiotherapeutin und von mir als Klinikseelsorgerin hat sie sehr bewusst und dankbar aufgenommen. Durch ihre lange Zeit der Krankheit ist sie eine Lebenskünstlerin geworden. Sie weiß, dass diese Kontakte und die Zuwendung ihr die nötige Kraft gaben nicht aufzugeben.

Isolation tut uns Menschen nicht gut, auf die Dauer wirkt sie sich auf unsere Psyche aus und schwächt schließlich auch unseren Körper. »Zwischenmenschliche Nähe ist, wenn sie einem Menschen nicht aufgezwungen wird, eine der stärksten heilsamen Drogen«, betonte Joachim Bauer, Professor für Psychoimmunologie, während des Lockdowns im April.

WENN JEMAND EINSAM IST, ZÄHLT JEDE KLEINE GESTE DER FÜRSORGE UND ZUNEIGUNG.

Als Seelsorgerin kann ich dem nur zustimmen und könnte viele Beispiele anfügen, in denen es der zwischenmenschliche Kontakt war, der Menschen bewogen hat, aus schwierigen Situationen einen Ausweg zu finden oder Kraft und Hoffnung zu schöpfen. Kontakt ist heilsam. Doch wie kann dieser Kontakt aussehen in Zeiten der Kontaktbeschränkung und der Hygienevorschriften? Natürlich gibt es Situationen, in denen leibhaftige menschliche Nähe durch nichts zu ersetzen ist. Und doch habe ich gestaunt, welch kreative Mittel und Wege manche gefunden haben, um in Kontakt zu bleiben – gerade mit den Menschen, die kein Internet nutzen können. Da wurden Fotos geschickt, Bilder gemalt, Blumen gebastelt, Briefe geschrieben. Viele solche Zeichen der Nähe wurden mir stolz und lächelnd gezeigt.

Auch in der christlichen Tradition weiß man um diese heilsame Droge, die von Nähe ausgeht. Zum Glauben gehörte es schon immer dazu, sich gemeinsam
auf den Weg zu machen und sich gegen- seitig zu stützen. Und die, die von einem entfernt waren, wurden in Gedanken begleitet. Durch Gott war man verbunden trotz räumlicher Distanz – ganz ohne Internet.

Was mich das lehrt? Kontakt kann auf ganz unterschiedliche Weise hergestellt werden. Wenn jemand einsam ist, zählt jede kleine Geste der Fürsorge und der Zuneigung. Trotz aller Vorsicht sollte so viel wie möglich an zwischenmenschlicher Nähe ermöglicht werden.

Und: Manchmal kann ein »Gott behüte Dich« wahre Wunder wirken.

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Seelsorge

Hinweis

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 4/2020 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 4/2020.