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»Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen«

Anette Michalski ist Pastoralreferentin und seit 2017 in der katholischen Seelsorge am Universitätsklinikum tätig. Da sie im Rollstuhl sitzt, begegnet sie den Patienten am Krankenbett nicht nur mental, sondern auch körperlich auf Augenhöhe. Themen wie Krankheit und Leid sind ihr aus eigener Erfahrung bekannt und das verschafft ihr einen guten Zugang zu den Patienten. Selbstverständlich ist es für sie, jedem Patienten offen und neutral zu begegnen. Egal welche Geschichte und welchen sozialen Stand der Mensch hat, für sie ist jeder gleich wertvoll und besonders.

Wenn ich mit meinem Rollstuhl in ein Patientenzimmer rolle, kann es passieren, dass mitten im Gespräch plötzlich dieser Satz fällt: »Aber was erzähle ich Ihnen von meinem Leid, Ihnen geht es doch viel schlimmer.« Diese Aussage stimmt mich nachdenklich. Wer oder was entscheidet darüber, welches Leid schlimmer ist? Gibt es äußere Gegebenheiten, mit denen es einem nur schlecht gehen kann? Bedeutet im Rollstuhl zu sitzen, dass es einem schlecht gehen muss? Dann müsste ich ja permanent traurig sein. Mein Glück würde damit von äußeren Umständen abhängen und ich hätte somit die Freiheit über mein eigenes Glück verloren.

In meinem Berufsleben bin ich einigen Patienten mit schlimmen Diagnosen begegnet. Einige von ihnen hatten dennoch ein ehrliches Lächeln auf den Lippen. Man könnte meinen, dass es ihnen furchtbar gehen müsste, aber trotzdem war eine Lebensfreude zu spüren. Worin liegt nun das Geheimnis, trotz Leid glücklich zu sein?

Da kommt mir eine alte Legende in den Sinn. Ein Mann beschwerte sich über das Kreuz, dass er zu tragen hatte. Es sei unbequem und zu schwer für ihn. Und so gab ihm Gott die Möglichkeit, sich ein neues Kreuz aussuchen zu können. Der Mann war sehr froh und probierte eines nach dem anderen. Doch das eine war ihm zu schwer, das nächste zu groß, wieder ein anderes zu unhandlich. Er war sehr traurig, da keines der Kreuze zu ihm passte. Resigniert entdeckte er in der Ecke ein weiteres Kreuz und probierte es aus. Es passte und er sagte glücklich: »Dieses möchte ich von nun an mit mir tragen!«
Es war sein eigenes, mit dem er hergekommen war. Diese Legende erinnert mich immer wieder daran, dass letztendlich nur wir selbst unser Leid beurteilen können. Das Kreuz des Mannes hat sich nicht verändert, aber seine Sichtweise darauf.

DAS GEHEIMNIS DER PATIENTEN, DIE IHRE LEBENSFREUDE NICHT VERLIEREN, LIEGT WOHL DARIN, DASS SIE IHRE DIAGNOSE ANNEHMEN UND SICH NICHT DAVON LÄHMEN LASSEN.

Die Diagnose beherrscht ihr Leben nicht mehr, sondern sie behalten sich die Freiheit zu entscheiden, wie sie damit umgehen möchten. Die Tatsache der Diagnose bleibt bestehen, jedoch steht sie nicht mehr im Fokus, sondern der Blick geht weiter. Neue Möglichkeiten werden sichtbar, die momentane Lebensqualität zu verbessern. Ähnlich geht es auch mir: Der Rollstuhl ist Teil meines Lebens, aber eben nur einTeil! Es gibt so vieles, was mein Leben wertvoll und glücklich macht. Äußere Umstände müssen nicht über mein Wohlbefinden entscheiden und dies ist doch irgendwie tröstlich.

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Seelsorge

Hinweis

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 3/2021 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 3/2021.