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Wenn Krankheit an die Nieren geht

Julia Mayer erkrankt mit 18 Jahren schwer, zehn Jahre später bekommt sie eine Niere ihrer Patentante transplantiert. Heute ist die 30-Jährige Mutter eines gesunden Mädchens. Doch nicht jede Patientengeschichte endet so glücklich. Noch immer sterben viele Menschen, weil sie die Wartezeit auf das rettende Spenderorgan nicht überleben. Auch prominente Namen kennt die Organspende.

Als Julia Mayer im Jahr 2008 erkrankt, denken sie und ihre Eltern noch, dass es sich um eine ganz normale Grippe handelt. Eigentlich kein Problem für einen jungen Menschen wie Julia, sie ist damals 18. Aber die Symptome verfliegen nicht, werden eher schlimmer. Sie träumt »komische Sachen«, fängt an zu zeitweise wirres Zeug zu reden und verrückte Geschichten zu erzählen. Schließlich kommt sie ins Krankenhaus nach Günzburg, die schicken sie ins Klinikum nach Augsburg. Die 1. Diagnose lautet Leukämie, stellt sich aber schnell als falsch heraus. Die zweite ist nicht viel besser: Nierenversagen durch Lupus erythematodes, eine rheumatische Autoimmunkrankheit. Ihren 19. Geburtstag feiert Julia im Krankenhaus. Wenn ihre Freunde Party machen, hängt sie an der Dialyse. Wenn ihre Freunde sich zum Sport treffen, hängt sie an der Dialyse. Mehrmals wöchentlich muss sie ihr Blut waschen, weil ihre Nieren den Dienst versagen. Kurzzeitig verbessern sich ihre Werte, bevor sie 2017 wieder an die Dialyse muss. Wieder keine Pläne schmieden, kein Ausschlafen, kein Leben, wie es Gleichaltrige führen dürfen. Dann verschlechtert sich Julias Zustand erneut, und bald ist klar: Jetzt kann nur noch eine Spenderniere helfen. Aber die Warteliste dafür ist lang, zu lang. So viel Zeit hat Julia nicht. Ihr Vater scheidet nach vielen Untersuchungen
als Spender aus. »Ein Tiefschlag«, sagt Julia. Aber ihre Patentante, zu der sie seit jeher eine enge Bindung hat, stellt sich als geeignet heraus. Ihr behandelnder Arzt, Dr. Aydin Er vom Transplantationszentrum am UKA, befürwortet die Spende von Julias Tante, und auch die Ethikkommission stimmt zu. Am 23. August 2018 erhält Julia vom Chirurgen Dr. Florian Sommer eine Niere ihrer Patentante. Beide feiern den Tag seitdem als Julias 2. Geburtstag. »Sie hat mir das Leben gerettet«, sagt Julia Mayer voller Dankbarkeit. Und es kommt noch besser. Am 16. Juli 2021 entbindet die inzwischen 30-Jährige eine gesunde Tochter: Mia. Wieder ist Dr. Er während der ganzen Schwangerschaft an Julias Seite. Zum Schutz des Kindes werden die Medikamente umgestellt. Ganz darauf verzichten kann Julia nicht. Mia kommt, als der Druck auf die Niere zu groß wird, nach der 37. Schwangerschaftswoche per Kaiserschnitt auf die Welt. Auch Stillen darf Julia aufgrund der Medikamente nicht. Mit 2 000 Gramm und 44 Zentimetern ist Mia ein eher zierliches Kind. Aber sie ist kerngesund. »Und das ist die Hauptsache«, sagen ihre überglücklichen Eltern Julia und Marcel Mayer.

SIE HAT MIR DAS LEBEN GERETTET.
Julia Mayer

Deutschlands vielleicht prominenteste Nierenkranke war seinerzeit die Frau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Elke Büdenbender. Der Verwaltungsrichterin ging es 2009 zunehmend schlechter. Damit war sie eine von etwa 8 000 Menschen, die in Deutschland 2009/2010 auf eine neue Niere warteten. Fünf bis sechs Jahre warten Patienten auf das lebensrettende Organ. Viele von ihnen überleben die Wartezeit nicht. Auch Büdenbenders Zustand hatte sich im August 2010 nach Aussage ihres Mannes akut verschlechtert. Es gab nur zwei Optionen: der Weg an die Hämodialyse oder eine Nierentransplantation. So entschloss sich Deutschlands mächtigster Mann, seiner Frau eine Niere zu spenden. Für eine Lebendspende müssen viele medizinische und psychologische Kriterien erfüllt sein. Aber besonders wichtig ist die nachweisliche emotionale Verbundenheit von Spender und Empfänger, um jeglicher Art von Organhandel entgegen zu wirken.

Dass es in Kliniken in den Bundesländern Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen im Zusammenhang mit Lebertransplantationen dennoch zu Unregelmäßigkeiten bei der Zuteilungmvon Organen kommen konnte, ist den kriminellen Machenschaften einzelner zuzuschreiben. In den Jahren 2010 und 2011 wurden in den genannten Häusern Laborwerte von Patienten auf der Warteliste manipuliert, um beschleunigt an Spenderorgane zu kommen. Später stellte die Überwachungskommission der Bundesärztekammer schwerwiegende Richtlinienverstöße fest, in deren Zuge es zu Schließungen von ganzen Transplantationszentren kam.

Ein Herz kann – im Gegensatz zur Niere – ausschließlich postmortal von einem soeben verstorbenen Menschen gespendet werden, wenn dieser im Besitz eines Organspendeausweises war oder den Angehörigen der Wille des Verstorbenen zur Organspende bekannt ist. Wem ein postmortal gespendetes Organ – im Gegensatz zur Lebendspende – zugeteilt bekommt, entscheidet die 1967 gegründete Stiftung Eurotransplant nach festgelegten Kriterien. Mit Sitz in Leiden/Niederlanden arbeitet sie eng mit Transplantationszentren,
Laboren und Krankenhäusern zusammen. Ob es an Skandalen, wie dem oben geschilderten liegt – Fakt ist, dass Deutschland unter den Eurotransplant-Ländern Schlusslicht bei der Organspende-Bereitwilligkeit ist. Die große Hoffnung auf die Widerspruchslösung, verhandelt im Bundestag Anfang 2020, erfüllte sich für die Transplantationsmediziner am UKA, allen voran Prof. Dr. Matthias Anthuber, nicht. »Hier wurde meines Erachtens eine Chance für das Leben vertan«, sagt er. Und erklärt gleich daraufhin weiter: »Ich kann doch von einem erwachsenen Menschen erwarten, dass er zu Lebzeiten aktiv eine Entscheidung für oder gegen die Organspende trifft. Denn allein darum geht es!« Denn das hätte die Widerspruchslösung, in vielen europäischen Ländern gängige Praxis, bedeutet: Man hätte einmalig erklären müssen, nein, meine Organe stehen für eine Spende nicht zur Verfügung.

ICH KANN DOCH VON EINEM ERWACHSENEN MENSCHEN ERWARTEN, DASS ER ZU LEBZEITEN AKTIV EINE ENTSCHEIDUNG FÜR ODER GEGEN DIE ORGANSPENDE TRIFFT. DENN ALLEIN DARUM GEHT ES!
Prof. Dr. Matthias Anthuber

Und das wäre es gewesen. Anthuber weiß, dass noch sehr viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss, was das Thema Organspende betrifft. »Wir müssen informieren, informieren, informieren, das ist ganz klar.« Es gelte, Vorurteile abzubauen, Ängste zu nehmen, Vertrauen und Transparenz zu schaffen. Aber vor allem auch mit dem an vielen Stellen noch vorhandenen Halbwissen aufzuräumen. Das gelte vor allem für die Feststellung des Hirntods. Heute spricht man auch vom irreversiblen Hirnfunktionsausfall, was eine weitere Hürde für die Organentnahme bedeutet – siehe eigener Artikel dazu auf der nächsten Seite. Aber auch der Skandalisierung der Organentnahme für eine Transplantation müsse entgegen gewirkt werden. »Das tut mir regelrecht weh«, sagt Anthuber, »wenn ich höre, dass Menschen als Inhaber eines Spenderausweises Angst empfinden, im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung nur unzureichend versorgt zu werden, weil die Transplantationsmedizin auf die Organe wartet.« In 35 Berufsjahren habe er so etwas nicht ansatzweise erlebt. »Ernsthaft? Wir lassen den einen Patienten bewusst durch aktiven Therapieentzug sterben, um dem anderen auf die Warteliste zu helfen? Das ist absurd!«

DAS TUT MIR REGELRECHT WEH, DASS MENSCHEN ALS INHABER EINES SPENDERAUSWEISES ANGST EMPFINDEN, IM FALLE EINER LEBENSBEDROHLICHEN ERKRANKUNG NUR UNZUREICHEND VERSORGT ZU WERDEN.

20 Jahre Transplatationszentrum mit Schwerpunkt Nierentransplantation


Anthuber, der das 2001 gegründete Transplantationszentrum am UKA leitet, verweist auf klare Regeln, die Missbrauch unmöglich machen, was vor allem die postmortale Spende betrifft. Abgesehen davon, dass der Hirntod eines Menschen von einem Neurologen und einem weiteren, nicht zum Organentnahme-Team gehörenden Spezialisten festgestellt werden muss, entscheidet auch nicht das UKA, wer die hier entnommene Niere bekommt. »Das Organ wird immer von Eurotransplant nach strengen Richtlinien weitervermittelt, und es kommt nur außerordentlich selten vor, dass eine am uka entnommene Spenderniere tatsächlich auf einen Empfänger der Augsburger Warteliste transplantiert wird«, erklärt Anthuber.

In der alle sieben Tage stattfindenden Transplantationskonferenz wird entschieden, wer auf die Warteliste in Augsburg kommt. Im November 2014 war es beispielsweise
Alfons Fink aus der Nähe von Günzburg, der nach eineinhalb Jahren aufwendiger Dialyse-Therapie eine neue Niere bekam. Es war die 400ste für das Transplantationszentrum in Augsburg. Mittlerweile werden jährlich zirka 35 Nieren in der Fuggerstadt transplantiert. Es waren auch schon einmal mehr, wie bereits erwähnt, aber die abnehmende Spendebereitschaft der letzten Jahre hat zahlenmäßig zu einem Rückgang der Transplantationsaktivität am UKA geführt. Seit einigen Jahren werden vermehrt auch Spenderorgane von Organspendern älter als 65 Jahre mit guten Ergebnissen transplantiert. Das sogenannte »old for old«-Programm macht's möglich. Auch die Niere eines gesunden 75-jährigen Verstorbenen könne heute einem über 65-jährigen Wartelistenpatienten erfolgreich transplantiert werden, erklärt Anthuber.

Was postmortal gut funktioniert, gilt auch im Besonderen für die Lebendspende. Der Eingriff kann optimal geplant werden und die sogenannte Konservierungszeit für die Spenderniere ist durch eine zeitlich kurz versetzte Operation beim Spender und Empfänger im Vergleich zur postmortalen Spende auf ein Minimum reduziert. Auch Bundespräsident Frank Walter Steinmeier hat seiner Frau diesen Liebesdienst in einem nicht mehr ganz jungen Alter erwiesen. Prominente Beispiele sind außerdem die Rennfahrerlegende Niki Lauda sowie Rockstar Tina Turner, die von Verwandten oder Ehepartnern Lebendspenden bekamen.

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Transplantationszentrum

Ihr Ansprechpartner steht Ihnen über unten stehende Kontaktdaten für Fragen zur Verfügung.

Prof. Dr. med. Matthias Anthuber

Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie
Leiter des Viszeralonkologischen Zentrums (DKG)

Facharzt für Chirurgie, Viszeralchirurgie
Zusatzweiterbildung: Spezielle Viszeralchirurgie

Hinweis

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 3/2021 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 3/2021.