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Wenn das Herz noch schlägt, aber das Gehirn nicht mehr arbeitet: Drei Schritte bis zur Feststellung des Hirntods

Bis der vollständige Hirnfunktionsausfall bei einem Menschen festgestellt werden kann, müssen die Ärzte wichtige Tests machen und dokumentieren. Ein Grundprinzip ist, dass die Unumkehrbarkeit der vollständigen Hirnschädigung zu belegen ist. Deshalb spricht man heute eher vom irreversiblen Hirnfunktionsausfall.

Der Tod eines Menschen, vor allem eines noch nicht sehr alten, isteine furchtbare Zäsur im Leben der Angehörigen. Etwa der Eltern, die ihr Kind durch Unfall oder Krankheit verlieren. Drei Jahre lang lebte Diana Dietrich in der Angst, dass es ihr kleiner Sohn Daniel vielleicht nicht schaffen könnte. Daniel war seit seiner Geburt schwer herzkrank und überlebte nur mithilfe eines Herzunterstützungssystems, das ihm Rennen und Toben weitgehend verbot. Nach drei Jahren kam die erlösende Nachricht: Für Daniel gibt es ein Spenderherz. Erlösend?

Irgendwo im Orbit des Eurotransplant-Raumes, dem insgesamt acht Länder angehören, haben Eltern das Herz ihres verstorbenen Kindes der europäischen Organspende-Stiftung mit Sitz in Leiden/Niederlande zur Verfügung gestellt. Was für Daniel selbst und seine Familie ein unfassbares Glück darstellte, war für die Familie des verstorbenen Kindes mit unglaublichem Leid verbunden – vielleicht ein klein wenig abgemildert durch die Tatsache, einem anderen Kind durch die Organspende ein Weiterleben ermöglicht zu haben. Bevor es zu einer Organspende kommen kann, müssen speziell qualifizierte Ärzteteams – bei denen immer Neurologen oder Neurochirurgen dabei sein müssen – den Hirntod feststellen und hierbei viele Schritte beachten. Diese erfolgen nach aktuellem Stand der Wissenschaft und sind in den Richtlinien der Bundesärztekammer vorgegeben.

»Zuallererst müssen wichtige Voraussetzungen geprüft werden, insbesondere muss eine akute, schwerste Hirnschädigung vorliegen«, erklärt Privatdozent Dr. Hauke Schneider, Oberarzt der Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie am UKA(*). Das kann etwa durch eine große Hirnblutung oder einen Unfall mit schwersten Kopfverletzungen der Fall sein. Ausgeschlossen muss sein, dass zum Untersuchungszeitpunkt keine anderen Ursachen die Ausfallsymptome des Gehirns verursachen, z. B. Narkosemedikamente.

Prinzipiell kann eine Hirntod-Untersuchung nur erfolgen bei künstlich beatmeten Patienten unter Aufrechterhaltung weiterer Organfunktionen.Bei beatmeten Patienten ohne Hirnschädigung, die z. B. wegen einer Covid-Lungenerkrankung beatmet und durch Narkosemittel bedingt komatös sind, darf eine Hirntod-Diagnostik nicht durchgeführt werden.

»Der zweite Schritt ist die klinische Prüfung des vollständigen Hirnfunktionsausfalls, definiert durch Koma, Ausfall der Hirnstammreflexe und fehlende Atmung«, erläutert Schneider weiter. In Deutschland ist dieser Nachweis besonders streng geregelt etwa im Vergleich zu Ländern wie Großbritannien und den Mitgliedern des Commonwealth, in denen »lediglich« der Ausfall der Hirnstammfunktion nachzuweisen ist, während in Deutschland der Ausfall des Hirnstamms sowie des Groß- und Kleinhirns geprüft werden muss. »Geprüft werden verschiedene Hirnstamm-Reflexe«, sagt Schneider.

So erfolgt bei Ausfall der Hirnstammfunktion keine Reaktion bei direktem Hineinleuchten in die Pupille. Zweitens reagiert der Patient nicht mit einer gegenläufigen Augenbewegung bei ruckartiger Drehung des Kopfes. Drittens erfolgt bei Berührung der Augenbindehaut, beispielsweise mit einem Wattestäbchen, kein Zusammenkneifen der Augen. Der Patient spricht viertens nicht auf beidseitig gesetzte Schmerzreize an. Es erfolgt fünftens keine Würgereaktion auf die wiederholte mechanische Reizung der Rachenhinterwand. Sechstens reagiert der Patient nicht auf das wiederholte Einführen eines Absaugkatheters über den Beatmungsschlauch in die Luftröhre mit Hustenreiz oder anderen motorischen Reaktionen.

»Ist der vollständige Hirnfunktionsausfall nachgewiesen, dann muss in einem dritten Schritt gezeigt werden, dass der Hirnfunktionsausfall unumkehrbar – irreversibel – ist«, erklärt Dr. Schneider. Hierzu erfolgt eine erneute, vollständige klinische Untersuchung nach einem fest vorgegebenen Zeitraum. Dieser variiert je nach Art der Hirnschädigung zwischen zwölf und 72 Stunden nach erstmaliger Untersuchung. Zeigen sich auch in dieser Untersuchung Koma, vollständig ausgefallene Hirnstammreflexe und fehlende Atmung, dann ist der unumkehrbare Hirnfunktionsausfall nachgewiesen, also der Hirntod festgestellt.

Alternativ zur zweiten Untersuchung können die untersuchenden Ärzte zum Nachweis der unumkehrbaren Hirnschädigung auch apparative Untersuchungstechniken einsetzen, z. B. die Messung der Hirnströme (Elektroenzephalogramm, EEG) oder die Untersuchung der Hirndurchblutung mittels Ultraschall. Seit 2015 ist auch die Gefäßdarstellung im Computertomogramm, die CT-Angiographie, als Methodik zulässig. Ist hierbei nach Gabe von Kontrastmittel keine Hirndurchblutung festzustellen, ist eine Erholung der Hirnfunktion nicht möglich und somit der Hirntod eingetreten.

»Die Richtlinien sehen vor, dass die Hirntoddiagnostik jeweils von zwei qualifizierten Ärzten durchgeführt werden muss«, so Schneider. Die Ärzte müssen nicht nur eine Facharztausbildung haben, sie müssen auch über mindestens zwei Jahre Erfahrung in der Intensivmedizin und der Behandlung hirngeschädigter Patienten nachweisen können. Zudem dürfen die an der Hirntod-Diagnostik beteiligten Ärzte nicht Teil eines Organentnahmeteams sein. Die durchgeführten Untersuchungen müssen von beiden Ärzten ausführlich nach einem einheitlichen Protokoll dokumentiert werden.

Hauke Schneider, seit 15 Jahren Spezialist für die Hirntod-Diagnostik, hält Zweifel an der Hirntod-Diagnostik für unbegründet. »Natürlich, die Vorstellung, man könnte für tot erklärt werden, obwohl man es noch nicht ist, ist gruselig, gehört aber ins Reich des Horrorfilms. Eine entsprechend der Richtlinien durchgeführte Hirntod-Diagnostik kann den Hirntod nachweisen oder eben auch ausschließen.« Er selbst hatte schon Situationen, bei denen das Behandlungsteam den Eintritt des Hirntodes bei einem Patienten vermutete, der Atemfunktionstest jedoch noch eine spontane Atemfähigkeit zeigte. In dem Fall brechen wir die Hirntod-Diagnostik sofort ab«, sagt Schneider, »weil der untersuchte Mensch nicht hirntot ist.«

Der Krankheitsverlauf bei solchen Patienten mit schwerster Hirnschädigung, die in der Hirntod-Diagnostik noch eine geringe Restfunktion aufweisen, ist dennoch äußerst ungünstig. Bei fehlendem Eintritt des Hirntodes wird in der Regel von einer intensivmedizinischen Therapie umgestellt auf eine leidenslindernde (palliative) Therapie, nach der der Patient zumeist Stunden bis wenige Tage später einen sanften Tod stirbt. Allerdings ist dann keine Organentnahme mehr möglich, selbst wenn in der Tasche der- oder desjenigen ein Organspendeausweis steckt. »In Deutschland ist die Spende bei Verstorbenen ohne eine vorherige Feststellung des Hirntodes nicht erlaubt«, erklärt Schneider.

(*) Aus Gründen des besseren Verständnisses wird hier nur auf die Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ab Beginn des dritten Lebensjahres eingegangen. Bei gleicher Diagnostik bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr gelten etwas abweichende Regelungen.

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Transplantationszentrum

Ihr Ansprechpartner steht Ihnen über unten stehende Kontaktdaten für Fragen zur Verfügung.

PD Dr. med. Hauke Schneider, MBA

Oberarzt

Facharzt für Neurologie

Zusatzweiterbildungen: ZB Neurologische Intensivmedizin, ZB Notfallmedizin, DEGUM Zertifikat Neurosonografie, ZQ Spezielle Botulinumtoxintherapie

E-Mail: hauke.schneider@uk-augsburg.de

Hinweis

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 3/2021 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 3/2021.