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Operieren unter anderen Umständen

Als Julia Welzel 1998 das 1. Mal schwanger ist, beschließt sie, weiter zu operieren. Ihr Lübecker Arbeitgeber nimmt dankend an. Rechtlich bewegt sich die Dermatologin ab sofort in einer Grauzone. Denn Mutterschutz und Berufsverbot für schwangere Chirurginnen schließen sie eigentlich vom OP aus. Fast 30 Jahre später schafft Prof. Dr. Julia Welzel – inzwischen dreifache Mutter und Klinikdirektorin – Fakten und damit Sicherheit für ihre jüngeren Kolleginnen, die schwanger sind und, wie sie, weiter operieren wollen. Welzels Klinik bekam kürzlich erneut das Mutterschutz-Siegel des Deutschen Ärztinnenbundes.

Von Ines Lehmann | Oberärztin Julia Welzel ist im 4. Monat schwanger und mitten in der Fachweiterbildung zur Dermatologin. Und sie muss eine Entscheidung treffen: Weiteroperieren, ja oder nein? „Für mich war schnell klar, dass ich weiter operieren wollte. Aber vor 30 Jahren war das nicht gut geregelt“, erklärt sie, deren Arbeitgeber, das Lübecker Krankenhaus, „sich nicht groß darum gekümmert hat“, wie sie sagt. Faktisch sieht sie sich einem Beschäftigungsverbot gegenüber, es gilt ein generelles OP-Verbot für schwangere Kolleginnen. „Viele Frauen sahen sich mehr oder weniger gezwungen, heimlich weiter zu operieren. Ein Zustand, der für keinen der Beteiligten befriedigend war.“

Weder den Arbeitgeber, noch die Schwangere. Die übertriebene Fürsorgepflicht von Praxen, Kliniken und Krankenhäusern zwang diese zum Verzicht auf wertvolle weibliche Arbeitnehmerinnen. Und die? „Kehrten zu einem gewissen Teil gar nicht in den Beruf zurück oder an einen Schreibtisch, an dem sie nach Geburt und Elternzeit eher administrativ tätig waren“, erklärt Welzel. Denn das OP-Verbot bedeutete gerade in der Weiterbildung für viele Chirurginnen einen Karriereknick. Auch Welzel, die in den Jahren 2000 und 2002 jeweils ein weiteres Kind zur Welt brachte, sagt: „Ich wäre sechs Jahre raus gewesen. In der Weiterbildung zählt jeder Tag.“ Die Facharztausbildung in der Dermatologie dauert fünf Jahre. „Ein Zeitraum, in dem viele Frauen den Anschluss verloren haben.“ Und der Arbeitsmarkt junge Ärztinnen.

Schwangere dürfen nur operieren, wenn Vollnarkose intravenös erfolgt

Jennifer Velez, Jahrgang 1988 und zum zweiten Mal schwanger, hat sehr viel mehr Rechtssicherheit im OP als ihre Chefin vor 30 Jahren. Denn dank einer sogenannten Positivliste weiß sie genau, was geht und was nicht. Zum Beispiel schwarzen Hautkrebs unter lokaler Anästhesie operieren oder jedweden anderen Hautkrebs. Hauptsache, die Vollnarkose erfolgt intravenös, weil die Narkosegase während der Einleitung der OP einen ungünstigen Einfluss auf die Schwangerschaft haben und das Risiko einer Fehlgeburt steigern könnten. „Schwangere Ärztinnen, die unbedingt weiter operieren wollen, setzen sich ja selbst mit den Risiken einer OP auseinander“, sagt Velez. „Keine Frau möchte ihr ungeborenes Kind gefährden.“

So ist auch der Kontakt zu infektiösen Patientinnen und Patienten ist untersagt. Ebenso Chemo-chirurgische Eingriffe, Operationen mit direktem Kontakt zu Röntgenstrahlung oder Notfalleingriffe, was nur beispielhaft genannt sein soll. Aber die Liste der Tätigkeiten, die schwangere Dermatologinnen unter Beachtung einiger Hinweise wie Schutzkleidung, Sitzmöglichkeit oder nicht länger als drei Stunden im Stehen operieren ausführen dürfen, ist viel länger als die Negativliste.

Julia Welzel ist eine Vorreiterin, als sie 2022 die sogenannte Positivliste für Tätigkeiten schwangerer Ärztinnen im Fachjournal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft veröffentlicht. Der Deutsche Ärztinnenbund zieht 2024 nach. Eine 50-seitige Broschüre gibt nun auch Auskunft über den „Fächerübergreifenden Konsens in der Chirurgie: Operative Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit“, die sich auch an andere chirurgische Disziplinen wendet.

Können es uns nicht leisten, jungen Frauen mit Karrierewunsch Steine in den Weg zu legen

Nach Mutterschutz und Geburt folgen Still- und Elternzeit. Auch müssen frisch gebackene Mütter und ihre Chefinnen und Chefs einige Dinge beachten, um die Gesundheit von Mutter und Neugeborenem zu gewährleisten. Julia Welzel hat auf ihre Elternzeit weitgehend verzichtet: „Ich bin zum Stillen mittags nach Hause gefahren.“ Das sei möglich gewesen, weil sich ihr Mann „voll eingebracht habe und wir kürzere Wege hatten“. Generell gilt: Jede schwangere bzw. gerade entbundene Frau muss selbst entscheiden, wie intensiv sie in dieser Zeit arbeiten möchte. Klar ist für Prof. Welzel auch: „Keine Kollegin, die sich gegen das Operieren entscheidet, darf Nachteile in ihrer Karriere erfahren. Aber in der heutigen Situation des gravierenden Fachkräftemangels können wir es uns nicht leisten, jungen Frauen, die mit Kind und Familie vorwärtskommen wollen, Steine in den Weg zu legen.“

Velez stand bei Redaktionsschluss dieses Magazins kurz vor der Entbindung ihrer zweiten Tochter. Sie ist seit 2024 Fachärztin für Dermatologie. Den Druck, die Weiterbildung durch nicht allzu lange Fehlzeiten zu unterbrechen wie bei ihrem ersten Kind, hat sie nicht mehr. „Wir wohnen in einer kleineren Stadt in der Nähe von Augsburg. Hier gibt es keine Kitas, die Kinder unter einem Jahr betreuen.“ Diese Zeit will sie sich der Familie widmen. Danach wird sie wieder im OP stehen: „Ich bin ja Ärztin geworden, weil ich Menschen helfen möchte.“

BU:
Schwanger im OP: Früher wurden schwangere Ärztinnen aus übertriebener Fürsorge mit einem Berufsverbot belegt. Heute dürfen sie unter Beachtung einiger Sicherheitsmaßnahmen weiteroperieren. „Zum Glück“, sagt Dr. Jennifer Velez. © Samuel Tschaffon