Kinderschutzambulanz

Hilfe bei Vernachlässigung und Missbrauch

Beim Wort »Familie« denken wir an Gemeinsamkeit. An Verbundenheit. An Liebe. Viele erleben es so. Familien können aber auch schwierig sein. Komplizierte Umstände, psychische Probleme können die Ursache dafür sein, dass aus dem, was ein heimeliges Zuhause sein sollte, ein Ort der Vernachlässigung, gar Gewalt wird. Wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein Kind Opfer von Misshandlung, Missbrauch oder Vernachlässigung geworden ist, muss behutsam, aber genau hingeschaut werden. Dafür steht am Universitätsklinikum Augsburg das interdisziplinäre Spezialistenteam der Kinderschutzgruppe.

»Wir klagen niemanden an«, das ist für Kinderschutzmediziner Dr. Harald Lochbihler der Weg zu Lösungen problematischer Sachlagen. Der Oberarzt der Kinderchirurgie, der erfahrene Kinderund Jugendgynäkologe, hat 2008 die Kinderschutzgruppe ins Leben gerufen. Seit 2017 ist das Team bei der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (DGKiM) akkreditiert. Erfahrung schärft den Blick der mitarbeitenden Fachleute aus Medizin, Pflege und sozialer Arbeit. »Wir haben schon eine gewisse Lernkurve hinter uns.« Wunden an Körper und Seele werden schneller entdeckt, das Netzwerk der Unterstützung kann unmittelbar anlaufen. Dabei ist die ganze Familie im Blickpunkt der Ärzte und Psychologen.

Die Kinderschutzambulanz ist Anlaufstelle für akut Betroffene, für niedergelassene Ärzte, Krankenhäuser, Jugendund Gesundheitsämter und anerkannte Opferschutzeinrichtungen. Immer steht das körperliche und seelische Wohlergehen des Patienten im Vordergrund. Kinderärztliche Untersuchungen klären, ob körperliche Verletzungen auf Gewalt zurückzuführen sind. Dabei spielen die interdisziplinären Möglichkeiten und die Erfahrung des Teams eine große Rolle. »Verletzungsmuster von Unfällen unterscheiden sich deutlich von Verletzungen durch Gewalteinwirkungen«, sagt Lochbihler. Das Team von Fachärzten setzt auf die Kombination von spezialisierten Untersuchungsmethoden, die in der Universitätsklinik zur Verfügung stehen. Die Möglichkeit behutsamer kindergynäkologischer Untersuchungen ist ebenso vorhanden wie eine kinderradiologische Abteilung. Meist wird für die zweifelsfreie Diagnose der geschützte Raum einer stationären Behandlung gewählt. Speziell geschulte Psychologen und Pfleger betreuen die Patienten während ihres Aufenthalts.

VERLETZUNGSMUSTER VON UNFÄLLEN UNTERSCHEIDEN SICH DEUTLICH VON VERLETZUNGEN DURCH GEWALTEINWIRKUNGEN.
Dr. Harald Lochbihler

Schon in der Notaufnahme schauen die Ärzte und Pflegekräfte bei Verletzungen von Kindern genau hin. Das gebrochene Bein nach einem Sturz vom Fahrrad kommt vor, heilt aber auch schnell wieder und fällt unter die Kategorie nicht schön, aber Unfälle passieren. Gebrochene Rippen können dagegen auch ein Hinweis auf Gewalteinwirkung sein. Durchschnittlich einmal in der Woche wird das Team der Kinderschutzgruppe zur Unterstützung angefordert. Da werden Babies mit lebensbedrohlichem Schütteltrauma vorgestellt; Kinder mit Verbrennungen, die nicht durch Unfälle entstanden sein können. Striemen im Gesicht fallen sofort auf. Bei Knochenbrüchen ist die Ursache nicht ganz so offensichtlich, doch mit viel Erfahrung und genauem Hinschauen entdecken die Fachleute des Kinderschutzteams Bruchmuster, die hellhörig machen. Es gibt Fälle von Komplikationen nach im Heimatland oder auch illegal in Deutschland durchgeführter Genitalverstümmelung bei Mädchen. Mangelernährung in der Überflussgesellschaft. Immer müssen Zweifel ausgeräumt werden. Denn ein auf den ersten Blick verdächtiger Bruch kann auch die Folge einer seltenen Erkrankung sein. Hämatome können auf eine bisher nicht bekannte Blutgerinnungsstörung des kleinen Patienten hinweisen. Mit standardisierter medizinischer Diagnostik und Therapie, detaillierter forensischer Befunddokumentation und interdisziplinärer Fallbesprechung entsteht ein genaues Bild. Wenn es nötig ist, wird in der Zusammenarbeit mit Kriminalpolizei, Rechtsmedizin und Jugendamt ein belastbares Fundament für rechtliche Schritte zum Schutz der jungen Patienten gelegt. Mit einem differenzierten Hilfsangebot sollen betroffene Familien Wege aus ungesunden Situationen finden. Spezialisten aus Medizin, Psychologie und sozialer Arbeit sind im Netzwerk der Unterstützung für die Schutzlosesten und damit Schutzbedürftigsten zusammengeschlossen.

Zertifizierter Schutz

Die Deutsche Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (DGKiM) ist eine Fachgesellschaft auf dem Gebiet der Kinderheilkunde. Ihr Ziel ist es, die wissenschaftliche, klinische und praktisch-ärztliche Arbeit auf dem Gebiet der Erkennung und Verhinderung von Gewalt und Vernachlässigung an Kindern und Jugendlichen zu fördern. Durch die DGKiM zertifizierte Mediziner sind darin geschult, die Zeichen von Gewalt gegen Kinder und Jugendlich zu erkennen und geeignete Maßnahmen dagegen auf den Weg zu bringen.

Speziell geschulte Ärzte, Psychologen und Pfleger betreuen die kleinen Patienten während ihres Aufenthalts im Krankenhaus.

Prügel als Mittel der Erziehung

Schläge waren auch in Deutschland lange akzeptierte Erziehungsmethode. Noch 1957 sprach der Bundesgerichtshof Lehrern ein »generelles Gewohnheitsrecht« auf Schläge zu. Es dauerte noch  16 Jahre bis 1973 die Prügelstrafe´in Schulen abgeschafft wurde. Eltern durften ihre Kinder weiter mit Schlägen bestrafen. Erst 1998 wurden im Bürgerlichen Gesetzbuch körperliche und seelische Misshandlungen für unzulässig erklärt. Das Recht auf Gewaltfreiheit in der Erziehung verankerte der Deutsche Bundestag im Jahr 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch.

Kinderärzte müssen genau hinsehen

Mit seinem inzwischen medizinhistorisch bedeutsamen Buch »The Battered Child« (Das geschlagene Kind) hat der Kinderarzt Henry Kempe 1968 die Grundlagen für den modernen Kinderschutz gelegt. Bis dahin hatten Kinderärzte bei der Behandlung ihrer kleinen Patienten kaum unterschieden, ob Verletzungen durch einen Unfall, durch Schläge oder andere Misshandlungen entstanden waren. Verbesserte Diagnosemöglichkeiten und genaueres Hinsehen brachten erst nach und nach die Fälle von Vernachlässigung und Gewalt ans Tageslicht.

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Ihr/e Ansprechpartner/in steht Ihnen über unten stehende Kontaktdaten für Fragen zur Verfügung.

Dr. med. Harald Lochbihler

leitender Oberarzt (im jährlichen Wechsel mit Dr. Knorr)

  • Facharzt für Chirurgie und Facharzt für Kinderchirurgie
  • Kinderschutzmediziner (DGKiM)
  • Zertifikat Kinder- und Jugendgynäkologische Sprechstunde
  • Qualitätsmanagementbeauftragter

Telefon: 0821 400-9210
Fax: 0821 400-179203
E-Mail: kinderchirurgie@uk-augsburg.de

Wenn Sie mehr über die Kinderschutzambulanz erfahren möchten, klicken Sie auf nachfolgenden Link.

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Hinweis

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 2/2021 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 2/2021.