Forschung nah am Menschen

Wie Wissenschaftler der Uniklinik Augsburg der Angst vor COVID-19 auf den Grund gehen

Angst, so sagt ein altes Sprichwort, ist ein schlechter Ratgeber. In Zeiten der Pandemie ergreift sie immer mehr Menschen auf vielfältige Weise. Häufig gerade solche, die bereits eine Vorerkrankung erlebt haben. Wie gehen sie mit ihrer Furcht um? Das wollte eine Studie des Lehrstuhls für Epidemiologie am Uniklinikum Augsburg herausfinden.

Angst essen Seele auf: An diesen Titel jenes legendären Films von Rainer Werner Fassbinder fühlte sich Humanbiologin Dr. Inge Kirchberger nach einem Gespräch mit ihrer Tante erinnert. Die über 80-Jährige hatte früher einmal eine Lungenembolie erlitten. Und dann kam Corona! »Sie hat sich seit Beginn der Pandemie aus Angst isoliert und leidet sehr darunter«, berichtet die Nichte, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Epidemiologie. Die betagte Dame bezog ihre Information einzig aus einer Quelle. Ihr Sohn hatte sie darauf hingewiesen, dass sie aufgrund ihrer bereits in Mitleidenschaft gezogenen Lungen zu den gefährdeten Menschen gehöre. Einen Arzt kontaktierte sie nie.

Nicht zuletzt das Verhalten ihrer Tante bewog Dr. Kirchberger, der Frage von Angst und Unsicherheit in den Zeiten der Pandemie nachzugehen. »Es hat mich interessiert«, erklärt die Epidemiologin und Psychologin, »wie es den Menschen geht, die Vorerkrankungen haben, die in den Medien als Risikofaktor für einen schweren Verlauf von covid-19 dargestellt werden.« Dazu zählen zum Beispiel ein Herzinfarkt und chronische Lungenerkrankungen wie Lungenembolie. »Wir wollten vor allem wissen«, sagt Inge Kirchberger, »wie fühlen sich diese Menschen und wie informieren sie sich?« Denn viele Betroffene, so eine Hypothese der Studie, können ihr persönliches Risiko nicht realistisch einschätzen. Insbesondere Patienten mit Lungenembolie werden durch unterschiedliche und nicht eindeutige Meldungen in den Medien stark verunsichert. »Bei Personen mit Herzinfarkt sieht die Sache anders aus«, erläutert die Studienleiterin. »Sie haben mehr Klarheit, weil der Infarkt immer konkret als Risikofaktor für einen schweren Verlauf von COVID-19 kommuniziert wurde.«

Um ein präzises Bild zu bekommen, befragten die Wissenschaftler des Lehrstuhls in Zusammenarbeit mit der I. Medizinischen Klinik betroffene Patienten – zum einen Menschen, die am KORA Herzinfarktregister Augsburg, zum anderen jene, die an der langfristig angelegten Lungenembolie-Augsburg Studie (LEA) teilnehmen. Die Ergebnisse sind eindeutig: »Patienten, die glauben, dass sie ein hohes Risiko haben«, so fasst es Dr. Kirchberger zusammen, »haben deutlich mehr Angst.«

Aber um ihr die Spitze zu nehmen – »Angst ist ja weder schön noch gesund«, sagt die Expertin – sollte man unbedingt zum Arzt gehen und sich fachkundigen Rat holen. Abzuraten sei, das vermeintlich allwissende Internet zu befragen. Denn auch dies ergab die Studie: Berichte aus dem weltweiten Netz tragen eher zur Verunsicherung bei. Deshalb rät Inge Kirchberger nachdrücklich: »Wenn Sie denken, dass Sie Vorerkrankungen haben, die Ihr COVID-19-Risiko erhöhen, gehen Sie unbedingt zum Arzt und besprechen Sie das mit ihm.« Vor allem Hausärzte kennen die ganz persönlichen gesundheitlichen Risiken ihrer Patienten und können aus diesem Wissen urteilen und beraten. »Ungefilterte Informationen aus Zeitung, Fernsehen oder Internet führen leicht in die Irre.« Im Zweifelsfall ihre Angst überwinden, sollten im Übrigen auch jene Menschen, die befürchten, sich in der Arztpraxis oder bei einem Klinikaufenthalt mit Corona zu infizieren. Auch hier gelte: Werde ein Herzinfarkt früh genug erkannt und behandelt, sei der Nutzen weit größer als das vermeintliche Risiko einer Ansteckung.

Studien dieser Art haben die Menschen im Mittelpunkt und stellen andere Fragen. »Wie geht es ihnen mit ihrer Erkrankung? Wie wirkt sie sich konkret auf Leben und Alltag aus, wie möchten sie betreut und behandelt werden?« Inge Kirchberger interessiert dabei die »Patienteperspektive«. Sie und ihre Kollegen arbeiten nicht mit dem Mikroskop, sondern mit dem Fragebogen. »Es ist eine Forschung ganz nah am Menschen«, lautet das Credo der Wissenschaftler. Und wer nah am Patienten ist, kann ihm auch die übergroße Corona-Angst nehmen. Vielleicht auch der eigenen Tante.

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Hinweis

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 2/2021 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 2/2021.