Weltweites Problem ganz nah - In Augsburg bildet sich ein Netzwerk gegen weibliche Genitalverstümmelung

Die World Health Organisation (WHO) geht davon aus, dass weltweit rund 200 Millionen Frauen und Mädchen genitalverstümmelt sind – und dass jährlich etwa drei Millionen Mädchen beschnitten werden, das bedeutet alle zehn bis 15 Sekunden. Beschneidung beziehungsweise die Verstümmelung der weiblichen Genitalien (englisch: female genital mutilation, FGM) ist eine jahrhundertealte Tradition vor allem in nordöstlichen- und westafrikanischen Staaten, in einigen Staaten des Mittleren Ostens und in Asien. Mittlerweile finden auch viele Frauen aus den genannten Regionen ihren Weg nach Europa und damit auch nach Augsburg. Wie geht man mit diesen Frauen um? Was passiert, wenn sie schwanger sind? Ein Gespräch mit Dr. Shirin Hunstiger, Funktionsoberärztin am Klinikum Augsburg.

Dr. Hunstiger, Sie haben ein Netzwerk gegen FGM initiiert. Warum?

Dr. Shirin Hunstiger: Wir treffen im klinischen Alltag immer öfter beschnittene Frauen, die sich vor der Geburt bei uns vorstellen oder gynäkologische Beschwerden haben. Häufig bestehen nicht nur medizinische, sondern auch psychische Probleme, zudem ist die Verständigung durch schlechte Deutschkenntnisse sehr schwierig. Ich habe mir überlegt, dass es ein Netzwerk aus verschiedenen Fachbereichen nach dem Münchner Vorbild in Augsburg geben müsste und bin auf die Suche nach Gleichgesinnten gegangen.

Welche Probleme haben die betroffenen Frauen denn?

Dr. Hunstiger: Viele Frauen stellen sich in der Schwangerschaft zur Geburtsplanung bei uns vor. Dann muss entweder eine Erweiterung der zu kleinen Vaginalöffnung vor oder während der Geburt oder von vornherein ein Kaiserschnitt geplant werden. Wir müssen betroffene Frauen aktiv ansprechen: Ob sie Probleme beim Abfluss der Menstruation oder beim Wasserlassen haben. Ob sie häufig Unterbauchschmerzen haben. Oft ist den Frauen gar nicht bewusst, dass ihre Beschwerden ursächlich an der Beschneidung liegen. Diese Beschwerden können im Klinikum Augsburg gut behandelt werden.

Was sind weitere Punkte, die sie zum Anlass für das Netzwerk genommen haben?

Dr. Hunstiger: Wir möchten über das Thema informieren und dafür sensibilisieren. Die Frauen sind teilweise traumatisiert. Sie brauchen eventuell psychologische Hilfe oder sogar eine Traumatherapie und damit kommen wir am Klinikum an unsere Grenzen. Außerdem suchen wir dringend geeignete Dolmetscherinnen, da die Gespräche sehr sensibel geführt werden müssen. Mir liegt auch der Schutz der bisher unbeschnittenen Kinder und der hier Neugeborenen sehr am Herzen. Wir haben die Pflicht, die Eltern darüber aufzuklären, dass die Beschneidung ihrer Kinder verboten ist und in Deutschland strafrechtlich verfolgt wird.

Sie stehen schon mit verschiedenen Stellen in Kontakt. Wen wünschen Sie sich noch dabei?

Dr. Hunstiger: Langfristig wollen wir das Netzwerk ausweiten auf alle Personen, die mit beschnittenen Frauen in Berührung kommen: Flüchtlingshelfer, niedergelassene Kinderärzte, Kinderpsychologen, Gynäkologen, Hebammen, Psychologen, Psychiater, Dolmetscher und Anwälte, Sozialarbeiter, Urologen, Chirurgen, Frauenrechtsorganisationen und so weiter. Wir freuen uns über alle Interessierten!

Die sind bei Ihnen an der richtigen Adresse?

Dr. Hunstiger: Ja, sehr gerne, ich bin unter 0821 400-2342 erreichbar und freue mich über jeden Anruf.

 

Autor | Quelle: Dieses Interview von Melanie Lieberer (lime) erschien in der Sonderbeilage der Augsburger Allgemeinen Zeitung "Bunter Kreis" im November 2018. Vielen Dank für die Genehmigung zur Veröffentlichung. Das Interview kann auch hier nachgelesen werden: Weltweites Problem ganz nah (PDF-Datei).