Hoch betagt – Intensiv betreut

Auf deutschen Intensivstationen sind viele Patienten sehr alt und mehrfach vorerkrankt. Und die Zahl wird weiter steigen. Nicht nur deshalb steht die Intensivmedizin vor wachsenden Anforderungen, derer sich die Gesellschaft bewusst werden muss. Am Universitätsklinikum Augsburg sind erste Weichenstellungen erfolgt, um die Intensivmedizin fit für die Zukunft zu machen.

Es ist ein schönes Bild: Ein älteres Paar – er braun gebrannt mit weißen Haaren, sie ebenso gebräunt mit einigen wenigen Falten um die Mundpartie – radelt auf hochmodernen E-Bikes in einen Sonnenuntergang, wie ihn Caspar David Friedrich nicht schöner hätte malen können. Was uns die Werbung damit sagen will? Fürchtet euch nicht vor dem Alter. Wir haben alles, was ihr braucht, um euch jung zu fühlen. Stichwort: Silver Surfer.

Dr. Michael Wittmann, Oberarzt an der II. Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum, muss schmunzeln, wenn er an dieses Bild denkt. »Die Wirklichkeit sieht leider immer wieder anders aus.Ein hoher Prozentsatz unserer Patienten auf den Intensivstationen ist 80 plus.« Der Intensivmediziner zeichnet ein Bild, das düster zu nennen zynisch wäre, aber auf das sich die Gesellschaft in Deutschland einstellen muss: »Der Altersdurchschnitt wird in den nächsten Jahren steigen. 2035 werden in der Bundesrepublik mehr ältere und hochbetagte Menschen als junge leben.« Laut Homepage des Statistischen Bundesamtes wird die erwerbsfähige Bevölkerung um zirka sechs Millionen Menschen auf insgesamt 47,4 Millionen Menschen schrumpfen, während gleich- zeitig die Zahl der über 67-Jährigen bis zum Jahr 2039 um fünf bis sechs Millionen auf insgesamt 21 Millionen Rentner, Senioren und Hochbetagte anwächst. Die Zahl der Menschen im Alter ab 80 Jahren wird bis 2022 von 5,4 Millionen auf 6,2 Millionen steigen, bis Anfang der 2030er Jahre stagnieren und dann wieder wach- sen. Die Gesamtkrankheitslast nimmt dadurch und durch den medizinischen Fortschritt enorm zu, der es erlaubt, Erkrankungen besser zu kontrollieren. Mit anderen Worten: Der Bedarf an intensivmedizinischer Versorgung wächst.

2035 WERDEN IN DER BUNDES- REPUBLIK MEHR ÄLTERE UND HOCHBETAGTE MENSCHEN ALS JUNGE LEBEN.
Dr. Michael Wittmann

Nicht nur Krankenhausärzte, auch die Gesellschaft muss sich die Frage stellen, ab welchem Zeitpunkt hochbetagte und mehrfach vorerkrankte Patienten nicht mehr von einer Intensivtherapie profitieren. Sich dieser Problematik zu stellen, ist aus mehreren Gründen wichtig: Zum einen werden wenig erfolgversprechende, gar oft belastende Therapien verhindert. Mit den knappen Ressourcen der Intensivmedizin und -pflege kann sorgsamer umgegangen werden, und – das ist der wichtigste Aspekt – die Patienten er- halten die für sie geeignetere Versorgung, beispielsweise auf einer Palliativstation. Für die behandelnden Mediziner bedeutet das mehr Zeit für Aktenstudium, mehr Zeit für Gespräche mit Patienten und Angehörigen auch unter Einbezug anderer Professionen wie Pflege, Physiotherapie oder Seelsorge. All das setzt eine breite ärztliche Expertise voraus, die häufig erst im interdisziplinären Zusammenwirken erreicht wird. Denn viele der auf den Intensivstationen zu versorgenden Patienten sind in mehreren Organsystemen gleichzeitig vorerkrankt. Sie benötigen ein hohes Maß an intensivmedizinischer, aber eben auch an organspezifischer Expertise. Um dies auf einer Station während der Behandlung eines Patienten zu vereinen, ist es notwendig, künftig noch stärker interdisziplinär zusammenzuarbeiten. Sonst«, so fürchtet Wittmann, der das Projekt Weiterentwicklung Intensivmedizin leitet, »werden wir die wachsenden Anforderungen an die Intensivmedizin künftig nicht bewältigen können.«

Deshalb prüft das Universitätsklinikum Augsburg derzeit ein Zukunftskonzept für die internistische Intensivmedizin, das in einem ersten Schritt drei große Kliniken zu einem Department zusammenführt. Die I., die II. und die III. Medizinische Klinik bilden jeweils für sich ein breit gefächertes Spektrum des menschlichen Organismus ab: Kardiologie, Pneumologie, Onkologie, Nephrologie, Gastroenterologie, Infektiologie. Durch die Gründung eines Departments für Internistische Intensivmedizin könnten die Vorteile der bisherigen Eigenständigkeit für die Abläufe der Patientenversorgung, der Personalausbildung und der Bettensteuerung in Zeiten knapper Ressourcen optimiert und besser genutzt werden. Die Führung des Departments obliegt den drei Klinikdirektoren mit ihren jeweiligen Fachrichtungen. Gleichzeitig stellt es seine Oberärzte mit der jeweiligen Gebietsbezeichnung – zum Beispiel Gastroenterologie – sowie der Zusatzbezeichnung Internistische Intensivmedizin für entsprechende fachspezifische Untereinheiten zur Verfügung. Man schafft so ein gemeinsames intensivmedizinisches Gerüst mit den hohen Standards der Intensivmedizin unter Erhalt der fachspezifischen Expertise aller Disziplinen und einem ausreichenden Personalzustrom aller drei Kliniken. Planung und Organisation einer über- geordneten Geräteeinweisung, ein gemeinsames Einarbeitungskonzept sowie Fortbildungsveranstaltungen sind erste Schritte in diese Richtung.

Diese Entwicklung soll auch im Anbau West fortgeführt werden, dem künftigen Intensivzentrum des Klinikums mit 136 Betten, in dem mit operativer und anästhesiologischer Intensivmedizin ein sehr großer Bereich angebunden ist. Auch hier wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit weiter vorangetrieben. So gibt es eine Frühbesprechung aller Intensivstationen inklusive Intermediate Care (vereinfacht ausgedrückt: die Vorstufe zur Intensivmedizin) zur Bettensteuerung. Zudem ist geplant, hier auch die neurologischen Intensiv-Patienten künftig zu versorgen. Nach Ansicht von Dr. Witt- mann könnte in den geplanten Department-Strukturen Bettenengpässe besser vermieden, Belastungsspitzen einzelner Bereiche gleichmäßiger verteilt und auf mittel- und langfristige Trends besser reagiert werden. Gerade die Coronapandemie habe in der Intensivmedizin wie ein Brennglas gewirkt und allen Beteiligten deutlich gemacht, dass Ressourcen endlich sind. Wie das Leben.

Das künftige Intensivzentrum am UKA bildet den zentralen Bestand des Anbaus West. Er hat die Größe eines Kreiskrankenhauses und wird künftig die komplette Intensivmedizin mit 136 Intensiv- und Intermediate Care-Betten in einem Gebäude vereinen. Die Kompetenzen aus weiteren medizinischen Disziplinen und Funktionsbereichen werden hier künftig gebündelt. Das sechsstöckige Gebäude umfasst eine Bruttogeschossfläche von knapp 30 000 Quadratmetern und eine Nutzfläche von 12 900 Quadratmetern. Pathologie und Labormedizin werden in den Anbau West umziehen. Im Erdgeschoss entstehen tagesklinische Strukturen verschiede- ner Fachdisziplinen wie Onkologie, Dermatologie und Schmerztherapie. Der Anbau West wird als eigenständiger Baukörper über verschiedene Stockwerke an das Hauptgebäude angebunden. Die Erschließung erfolgt über den bestehenden Haupteingang. Eine weitere Zugangsmöglichkeit wird es auf der Westseite geben für erschwert und nicht gehfähige Patienten. Hier entsteht eine Kurzparkzone.

Sie haben Fragen?

Ihr/e Ansprechpartner/in steht Ihnen über unten stehende Kontaktdaten für Fragen zur Verfügung.

Hinweis

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 1/2021 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 1/2021.