Eine Handvoll Leben

Die Früh- und Neugeborenen-Intensivstation der Kinderklinik ist als Perinatalzentrum Level 1 klassifiziert. Kindern mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1 250 Gramm wird hier ein guter Start ins Leben ermöglicht. Auf den Gängen hängen Fotos von fröhlich lachenden Kindern, die einen mitunter schwierigen Start hatten.

Drillinge. Vierlinge. Wieder Drillinge.
Die Dienstplan-Verantwortlichen der Neonatologie am UKA mussten Ende letzten Jahres besonders starke Nerven beweisen, denn alle zehn Kinder hatten einen errechneten Geburtstermin innerhalb von vier Wochen. Bei den Vierlingen stand ein Team aus vier Oberärzten, vier Assistenzärzten, vier Pflegekräften und zwei Hebammen bereit, um die vier Buben nach der Geburt zu versorgen. Klar könnte man meinen, für den Geburtshelfer ist es zweitrangig, wie viele Kinder er beim Geburtsvorgang auf die Welt holt. Logistisch stellen gleich mehrere Mehrlingsgeburten in so kurzer Zeit jedoch eine Herausforderung für die Neonatologie jedes Perinatalzentrums dar, denn die Dienstpläne müssen über einen Zeitraum von mehreren Wochen entsprechend angepasst werden und die Mannschaft in Rufbereitschaft bleiben. »Es wäre fahrlässig zu sagen, ach, wir warten mal das Wochenende noch ab. Auch Frühchen machen es gerne mal spannend«, erklärt Dr. Wilfried Schenk, Oberarzt an der Kinderklinik Augsburg | Mutter-Kind- Zentrum Schwaben und Sektionsleiter der Frühgeborenen-Intensivabteilung.

ZU FRÜH GEBORENE BABYS, DIE MIT WENIGER ALS 1500 GRAMM AUF DIE WELT KOMMEN, HABEN GERN MAL DIE EIGENSCHAFT, UNREGELMÄSSIG ZU ATMEN.
Dr. Wilfried Schenk

Zirka 2 500 Geburten verzeichnet das UKA jedes Jahr. Davon werden 600 Früh- undNeugeborene jährlich intensivmedizinischbetreut. 70 Kinder kommen mit einem Gewicht unter 1 500 Gramm zur Welt. Dann können auf einen Schlag zehn Neo-Intensivplätze für mehrere Wochen belegt sein. Die ersten Drillinge letztes Jahr hatten es in der 26. Schwangerschaftswoche besonders eilig. Sie kamen mit Geburtsgewichten zwischen 770 und 900 Gramm zur Welt. Wo bei anderen Neugeborenen ein Schnuller reicht, benötigen diese Leichtgewichte schweres Gerät: Blasenkatheter, Infusionsschläuche, zentralvenöse Versorgung, Beatmungsmaschine – die komplette intensivmedizinische Betreuung, nur eben in winzig. Etwa eineinhalb Stunden dauert die Erstversorgung solcher Frühchen. Mit kleinen Post-It’s versuchen die Schwestern, ein bisschen Leichtigkeit in die Szenerie zu bringen. Hallo Welt, steht auf einem der Zettelchen, ich bin Lara (Name geändert) und die Nummer zwei. Ein Mützchen in knalligem Orange wärmt den Kopf des Frühchens. Auch das bringt Farbe und Freundlichkeit in den High-Tech-Brutkasten. Ein Stillkissen mit bunten Pünktchen umschließt Lara wie ein Nest. Geborgenheit pur.

»Zu früh geborene Babys, die mit weniger als 1 500 Gramm auf die Welt kommen, haben gern mal die Eigenschaft, unregelmäßig zu atmen«, sagt Neonatologe Schenk. »Spannend ist immer die Zeit nach der Extubation, wenn also der Beatmungsschlauch gezogen ist und das kleine Menschenkind selbst und regelmäßig atmen soll.« Braucht der Winzling keine Unterstützung mehr beim Atmen, kann er auf die IMC-Station verlegt werden, quasi eine Vorstufe der Intensivstation. »Das ist der Moment«, so Schenk weiter, »in dem das Kleine anfangen kann, zu wachsen und zu gedeihen. Dann geht es nicht mehr ums reine Überleben.« Unter den Kindern sind jedes Jahr zirka 150 Früh- und Neugeborene, die aus Geburtskliniken im Umland ans uka verlegt werden, weil dort weder die technische noch die personelle Ausstattung für ein Perinatalzentrum Level 1 reichen. Für ein solches Zentrum gelten strenge Vorgaben. Einer der Vorteile ist, dass die Trennung von Mutter und Kind hier nicht nötig ist. Die Eltern dürfen rund um die Uhr zu ihrem Baby, zu ihren Babys. Wird das Kind nicht über eine Magensonde ernährt, muss es alle zwei bis drei Stunden gefüttert werden. Auch die Eltern werden angeleitet und ermutigt, bestimmte Aufgaben bei der Pflege ihres Kindes zu übernehmen. Dabei kommt dem sogenannten Känguruhen eine besondere Bedeutung zu. Das Neugeborene liegt dabei auf dem – idealerweise nackten – Oberkörper der Mutter oder des Vaters. Studien zufolge wirkt sich Känguruhen anregend auf die Milchbildung der Mutter aus, vor allem aber stabilisiert es die Atmung des Kindes und hat einen positiven Effekt auf Herzfrequenz, Körpertemperatur und den Aufbau des Immunsystems.

Känguruhen, Kuscheltherapie für die Kleinsten stärkt die Winzlinge in ihrer Entwicklung und ihrer emotionalen Bindung zu Mutter oder Vater.

Ein sogenanntes reifes Kind kommt üblicherweise nach 40 Wochen auf die Welt. Als Frühchen gilt, wer vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren wird. In Deutschland ist eine intensivmedizinische Versorgung eines Babys dann regelhaft vorgesehen, wenn es nach genau 24 Schwangerschaftswochen zur Welt kommt. Schafft es ein Kind nicht mal bis dahin, wird mit den Eltern gesprochen und gemeinsam entschieden, ob man tatsächlich alles unternimmt und die komplette intensivmedizinische Maschinerie anlaufen lässt. »Das sind ethische Grenzentscheidungen«, sagt Schenk. »Ist ein Kind fit und vital, habe ich den klaren Auftrag, den Wunsch der Eltern zu verfolgen.« Häufig haben solche Frühchen trotz idealer Erstversorgung mit massiven gesundheitlichen Problemen und neurologischen Beeinträchtigungen zu kämpfen. Aber es gibt auch die ganz kleinen Kinder, die zum großen Wunder werden. »Letztes Jahr haben wir ein Mädchen in der 23. Schwangerschaftswoche mit weniger als 500 Gramm Geburtsgewicht auf die Welt geholt«, erinnert sich Schenk. »Natürlich bekam sie das volle intensivmedizinische Programm. Sie hat sich prächtig entwickelt.«

Natürlich sind vorsichtige Prognosen über eventuelle Spätfolgen erst ab der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres möglich. »Wenn wir schwerwiegende Komplikationen wie Gehirnblutungen vermeiden konnten, wenn das Kleine normal atmet, normal trinkt, eine normale Suchreaktion nach der Brust der Mutter zeigt, ein differenziertes Bewegungsmuster hat und keine blockartigen Bewegungen macht, dann sieht eigentlich alles sehr gut aus für eine normale Entwicklung des Kindes«, sagt Schenk. Ob es später dennoch eine Lernverzögerung entwickelt oder Schwierigkeiten sich zu konzentrieren, kann man frühestens nach Vollendung des zweiten Lebensjahres sagen.

Nichts deutet darauf hin, dass Aron, Ben, Leon und Luis später einmal Schwierigkeiten beim Lernen haben sollten. Die Vierlinge kamen mit einem geplanten Kaiserschnitt zur Welt, da der Bauch der Mama so groß geworden war, dass sie ihre Kinder gar nicht bis zum Ende hätte tragen können. Das war zehn Wochen vor dem errechneten Geburtstermin. Alle Buben wogen über 1 300 Gramm. »Ein extrem gutes Gewicht«, sagt Schenk. Auf die Intensivstation mussten sie nur kurz. Inzwischen sind alle vier längst zuhause und brauchen sich nur auf eines zu konzentrieren: wachsen und gedeihen.

Wir für Sie

Die Frauenklinik und die Kinderkliniken betreuen im Perinatalzentrum Level I (Risiko-)Schwangerschaften, Risikogeburten und Früh- bzw. Neugeborene. Sowohl durch Ausbildung und Qualifikation ärztlicher und pflegerischer Mitarbeiter, beim Angebot spezifischer Dienstleistungen als auch bei der apparativen Ausstattung wird dem höchsten Anspruch an Sicherheit und umfassende Betreuung Rechnung getragen. Als neonatologisches Zentrum besitzt die Kinderklinik nicht nur eine große praktische Erfahrung in der Betreuung von »Risikokindern« und extrem Frühgeborenen, sondern beteiligt sich auch wissenschaftlich an zahlreichen Projekten zur Qualitätsverbesserung.

Schon gewusst?

»Mutter-Kind-Zentrum« – das bedeutet kurze Wege und höchste Kompetenz unter einem Dach. Kreißsaal, Wochenstation und Neonatologie sowie die neonatologische Intensivstation befinden sich in unmittelbarer Nähe zueinander. Dies garantiert eine optimale Versorgung und ist auch medizinisch sinnvoll, wenn es mal schnell gehen muss.

 

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Ihr/e Ansprechpartner/in steht Ihnen über unten stehende Kontaktdaten für Fragen zur Verfügung.

Dr. med. Wilfried Schenk

Stellv. Sektionsleiter Neonatologie und Intensivmedizin             

  • Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin
  • Schwerpunkt Neonatologie
  • Zusatzbezeichnung Pädiatrische Intensivmedizin
  • Facharzt für Anästhesiologie

Telefon: 0821 400-9290
Fax: 0821 400-179290

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Kinderklinik Augsburg | Mutter-Kind-Zentrum Schwaben

Hinweis

Dieser Artikel erschien zu erst in der Ausgabe 2/2021 des Gesundheitsmagazins "GESUNDHEIT ganz groß". Die gesamte Ausgabe finden Sie als PDF-Datei zum nachlesen hier: Ausgabe 2/2021.