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Gudrun Loos Schmerzlotsin im Bayerischen Kinderschmerzzentrum

Wie der Schmerz den Alltag beeinflussen kann

Interview mit

Rosemarie Ahnert

Leiterin des Bayerischen Kinderschmerzzentrums

Rosemarie Ahnert ist Oberärztin und Leiterin des Bayerischen Kinderschmerzzentrums. Sie ist Fachärztin für Kinder und Jugendliche mit der Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie. Gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Michael Frühwald, Chefarzt der I. Klinik für Kinder und Jugendliche in der Kinderklinik Augsburg | Mutter-Kind-Zentrum Schwaben, und einem Team hat sie am Universitätsklinikum Augsburg das Bayerische Kinderschmerzzentrum aufgebaut.

Wie beeinflusst chronischer Schmerz den Alltag und die Lebensqualität betroffener Kinder und Jugendlicher?

Chronischer Schmerz dominiert das Leben von Kindern und Jugendlichen und ebenso das ihrer Familien. Zu den körperlichen Leiden kommt in beträchtlichem Maß auch Stress: Fehlzeiten in der Schule führen zu Anhäufungen von Lernstoff, der aufgeholt werden muss. Gelingt das nicht, muss das Schuljahr wiederholt oder sogar die Schule gewechselt werden – mit allen Folgen auf der sozialen Ebene. Zudem gestaltet es sich häufig schwierig, Freundschaften zu halten. Denn das Gefühl, von anderen nicht verstanden zu werden, führt bei vielen Betroffenen zum Rückzug. All das erhöht die Konzentration auf den Schmerz – und verschlimmert ihn weiter.

Können Sie aus Ihrer Erfahrung typische Ängste, Sorgen und Gedanken bei den Betroffenen beschreiben?

Jüngere Kinder fühlen sich den Schmerzen häufig wehrlos ausgesetzt. Allein mit dem Schmerz zu sein und das Gefühl zu haben, niemand ist da, der helfen kann, ist eine leidvolle Erfahrung für Kinder. „Gehen die Schmerzen wieder weg?“, ist eine Frage, die viele Betroffene umtreibt. Mit zunehmendem Alter tauchen vermehrt Selbstzweifel auf: „Bilde ich mir das alles nur ein? Bin ich verrückt?“ Jugendliche haben häufig Schuldgefühle wegen der Belastung, die sie ihretwegen in der Familie spüren. Auch Sorgen um die berufliche Zukunft spielen in dieser Altersgruppe eine große Rolle.

Wann sollten sich Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen in der Kinderschmerzambulanz vorstellen?

Wenn Schmerzen länger andauern oder immer wiederkehren und Kinder und Jugendliche dadurch Mühe haben, ihren gewohnten Alltag zu bewältigen, und wenn schon verschiedene Behandlungen ausprobiert wurden, aber keine anhaltend geholfen hat.

Wann und warum ist eine stationäre Behandlung sinnvoll beziehungsweise notwendig?

Eine stationäre Behandlung ist dann sinnvoll, wenn die Lebensqualität als Reaktion auf die Schmerzerkrankung stark beeinträchtigt ist und etwa depressive Verstimmungen oder Ängste entstehen. Auch wenn durch die Schmerzen die Alltagsroutine nicht mehr greift, wenn der Patient oft in der Schule fehlt, Freunde nicht mehr sieht oder Hobbys aufgegeben hat, kann dies für eine stationäre Behandlung sprechen.

Für eine stationäre Behandlung spricht auch, dass nur hier der multimodal-interdisziplinäre Ansatz verfolgt werden kann. Chronischer Schmerz wird heute als Produkt komplexer Wechselwirkungen zwischen biologischen, psychischen und sozialen Faktoren verstanden. Entsprechend geht es bei der Therapie um eine ganzheitliche Betrachtung, bei der verschiedene Fachdisziplinen eingebunden werden und neben medizinischen und medikamentösen Maßnahmen auch psychologische Verfahren zum Einsatz kommen. Ein wesentlicher Aspekt der stationären Behandlung liegt in der Anleitung zur aktiven Schmerzbewältigung, die die Patienten in ihren Alltag integrieren können.

Wie geht es den Kindern und Jugendlichen, die zu Ihnen kommen? Welche Vorgeschichte bringen sie mit?

Die Kinder und Jugendlichen, die zu uns kommen, leiden in der Regel seit mehr als drei Jahren an Schmerzen und haben bis zu sieben Behandlungsversuche hinter sich. Das Scheitern dieser teils sehr einschränkenden Therapieansätze (zum Beispiel Änderungen der Ernährung) führt zu zusätzlicher Frustration und Mutlosigkeit. Auch das Unverständnis ihrer Umgebung belastet viele Patienten, wenn etwa unterstellt wird, sie simulierten, um nicht zur Schule gehen zu müssen. Nicht zuletzt kommt es auch immer wieder zu gesundheitlichen Problemen aufgrund von Medikamentenfehlgebrauch – oftmals werden Schmerztabletten etwa zum falschen Zeitpunkt oder zu häufig genommen.

Mit welchen Gefühlen kommen Kinder und Jugendliche zur stationären Aufnahme in das Bayerische Kinderschmerzzentrum?

Die bevorstehende Trennung von zu Hause verunsichert vor allem viele unserer jüngeren Patienten. Oftmals haben sie noch keine längere Zeit fern von den Eltern verbracht – und erst recht nicht für einen Aufenthalt im Krankenhaus. Sie wissen nicht, was sie erwartet und was von ihnen erwartet wird, ob sie dem gewachsen sind und ob sie in der Klinik auch genügend Freiraum haben werden. Nach falschen Ursachenzuschreibungen in der Vergangenheit haben viele Kinder Angst, eine weitere frustrierende Erfahrung zu machen. Häufig beobachten wir auch, dass sich Kinder darüber Sorgen machen, was Freunde und Klassenkameraden über den Aufenthalt in der Klinik denken könnten. Sie haben Angst, dafür verurteilt zu werden. Die meisten unserer Patienten haben einfach schon eine lange Reise hinter sich, die Spuren hinterlassen hat.

Wenn du auch immer wieder Schmerzen hast und mehr über die Behandlung am Bayerischen Kinderschmerzzentrum wissen möchtest, kannst du jederzeit Kontakt mit uns aufnehmen. Wir von der Station „Gipfelstürmer“ helfen dir gerne!

Deine Eltern finden weitere Informationen im Bereich für Eltern und Familien.