Warum Bewegung während und nach der Krebsbehandlung so wichtig ist

Interview mit

Kerstin Hopfenzitz

Lizenzierte Rehasporttrainerin für Onkologie 

Ist mein Körper schon fit genug für Sport? Verschlimmert sich meine Krankheit durch Sport? Soll ich mich lieber schonen, um meine Gesundheit zu unterstützen, oder mich anstrengen? Diese und andere Fragen stellen sich Krebspatienten oft. Dabei wurde inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen, wie gut Sport und Bewegung während und nach einer Krebstherapie für den Patienten sind. Die positiven Aspekte machen sich im Körper, in der Seele und im Sozialleben bemerkbar: Nebenwirkungen von Medikamenten können reduziert und die allgemeine Leistungsfähigkeit gesteigert werden, das Selbstbewusstsein und die Lebensfreude werden dabei gefördert.

Im Gespräch mit Kerstin Hopfenzitz geht es unter anderem um die Vorteile von Sport für den Patienten, den positiven Einfluss auf die Krebstherapie und was passiert, wenn sich Patienten gar nicht mehr bewegen. Kerstin Hopfenzitz gibt spannende Einblicke und alltagstaugliche Tipps.

Mittlerweile ist es wissenschaftlich anerkannt und erwiesen, dass Sport und Bewegung den Behandlungserfolg bei Krebserkrankungen positiv beeinflussen. Warum sind Sport und Bewegung so wichtig?

Sport und Bewegung haben einen positiven Einfluss auf die Krebsbehandlung. Im Vordergrund steht jedoch immer das individuelle Befinden des jeweiligen Patienten. Wir wissen: Wer sich zu sehr schont, verliert irgendwann seine Kraft. Wichtig ist, das Gleichgewicht zwischen Schonung und Aktivität zu finden. Sport hingegen stärkt das Immunsystem und das psychische Befinden. Ich beobachte auch, dass viele Patienten den eigenen Körper erst wieder entdecken müssen, beispielsweise nach einer Operation. Dafür haben sich Wahrnehmungsübungen bewährt.

Gerade Sport in der Gruppe hat auch einen sozialen Aspekt: Körperliche Aktivitäten – vor allem gemeinsam mit anderen Betroffenen – können den Einzelnen positiv motivieren und das Selbstbewusstsein stärken.

Welche weiteren positiven Auswirkungen hat Sport auf die Seele und das Sozialleben?

Bewegung kann das seelische Gleichgewicht verbessern, denn dabei werden Glückshormone freigesetzt und negative Stresshormone abgebaut. Das trägt dazu bei, dass Patienten den Alltag besser meistern und positiver in die Zukunft blicken.

Gibt es auch Fälle, bei denen Sie von Sport abraten?

Grundsätzlich sollte jede sportliche Aktivität mit dem behandelnden Arzt abgesprochen werden. Prinzipiell gilt: Auch Krebspatienten können jede Art von Sport oder Bewegung als Herausforderung sehen. Allerdings heißt Schmerz im Rehasport immer „Stopp!“, bevor es zu einer Überforderung kommt.

Die Entscheidung, was zu viel und was zu wenig Sport ist, entscheidet die individuelle Tagesform des Patienten – das Sportpensum kann entsprechend angepasst werden. Manche Bewegungen und Sportarten können nach bestimmten Operationen nicht unmittelbar wieder ausgeführt werden. Dazu kann man sich ebenfalls mit dem Onkologen oder auch mit uns Rehasporttrainern abstimmen.

Welche Zweifel begegnen Ihnen am häufigsten, und wie ermuntern Sie Patienten zum Sport?

Zweifel in unseren Sportkursen für Krebspatienten beruhen häufig auf zwei Fragen: „Schaffe ich diese Übungen überhaupt?“ und „Kann ich damit Schaden anrichten?“ Meine Empfehlung für alle Krebspatienten: Probieren Sie sich aus, und spüren Sie, wie gut Ihnen Sport tun kann.

Wir stimmen das Sport- und Bewegungsprogramm individuell auf unsere Patienten ab und betreuen sie während der Übungen intensiv.

Was passiert, wenn sich Patienten gar nicht mehr bewegen? Warum kann man hier regelrecht von einem „Teufelskreis“ sprechen?

Das ist ein wichtiger Aspekt, der aber vielen so nicht bewusst ist. Denn Bewegungsmangel und ein Zuviel an Ruhe führen oft zu einem Verlust von Agilität und Beweglichkeit. Wenn der Körper nicht mehr regelmäßig bewegt wird, fühlt man sich oft müde und kraftlos. Das hat wiederum zur Folge, dass es zu Antriebslosigkeit und depressiven Verstimmungen kommen kann – auch bekannt als Fatigue-Syndrom. Betroffene fühlen sich müde, erschöpft und lethargisch. All das kann die Krebstherapie negativ beeinflussen. Oder andersherum gesagt: Sport und Bewegung können die Gesamtbehandlung unterstützen.

Ab wann empfehlen Sie Patienten, mit Sport zu beginnen?

Eigentlich können Patienten jederzeit mit Sport beginnen. Einschränkungen gibt es nur manchmal nach einer erfolgten Operation. Es kann natürlich sein, dass Patienten zu unterschiedlichen Phasen der Krebsbehandlung unterschiedlich viel Kraft haben. In unseren Kursen können wir darauf individuell eingehen und genau die Übungen finden, die der Patient gut bewältigen kann und dabei auch noch Spaß hat. Aber auch wer selbstständig Sport machen möchte, kann dies jederzeit tun – solange der behandelnde Arzt vorher sein Einverständnis gibt und man sich währenddessen körperlich gut fühlt.

Viel hilft viel? Oder was empfehlen Sie zur Art und Dauer der Bewegung?

Meine Devise lautet eher: „Weniger ist oft mehr.“ Im Rehasport ist Schmerz ein eindeutiges Alarmzeichen. Die letzte Instanz ist immer der eigene Körper: Wer mit Sportübungen beginnt, wird schnell merken, was ihm gut tut und was nicht.

Im Rahmen des Rehasports lernen unsere Kursteilnehmer ihre Grenzen besser kennen und führen Übungen ganz nach individueller Tagesform aus.

Welche Bewegungsarten gibt es, und für wen sind sie geeignet?

Patienten stehen vielfältigste Möglichkeiten zur Verfügung, ganz nach persönlicher Vorliebe. Es gibt Indoor- oder Outdoortraining, es gibt Rehabilitationssport, Physiotherapie, Krankengymnastik oder auch Bewegungssport wie Schwimmen und Funktionstraining. Pauschal lässt sich die Frage der Eignung nicht beantworten, da ist jeder Patient verschieden.

Bei der Entscheidung für eine Sportart ist wie gesagt der behandelnde Arzt zusammen mit dem Patienten gefragt. Gemeinsam besprechen sie die Optionen und suchen die Bewegungsart, die am besten zum Patienten und seinen Vorlieben passt und auch die körperliche Konstitution berücksichtigt. 

Sport und Bewegung sind eine lebenslange Aufgabe. Wie können Patienten körperliche Aktivitäten in den Alltag integrieren?

Ich gebe Patienten immer den Tipp, dass sie ihr Bewusstsein für Bewegung im Alltag schärfen sollen. Das können schon ganz kleine Übungen sein, die das Gleichgewicht trainieren, den Körper kräftigen und die Koordination verbessern. Ein Spaziergang an der frischen Luft, mit ausgestreckten Armen auf einer imaginären Linie laufen, Treppensteigen, zwischendurch auf einem Bein stehen oder auch sanftes Armkreisen lassen sich wunderbar in den Alltag integrieren.

In der Gruppe macht Sport vielen noch mehr Spaß. An wen können sich Patienten wenden, wenn sie sich gemeinsam mit anderen Menschen sportlich betätigen möchten?

Grundsätzlich können sich Patienten auch mit dieser Fragestellung an ihren behandelnden Arzt wenden – oder an die Krankenkasse und an Selbsthilfegruppen. Für eine Teilnahme kann der behandelnde Arzt eine Rehasportverordnung ausstellen. Auf den Patienten warten Aufwärmtraining, Gleichgewichts-, Koordinations- und Kräftigungsübungen sowie Entspannungstechniken.

Wichtiger Hinweis

Vor jeder sportlichen Betätigung sollte der Patient mit seinem behandelnden Arzt und gegebenenfalls mit den zuständigen Rehasporttrainern Rücksprache halten. Individuelle Sportpläne zielen auf den Ist-Zustand des Betroffenen ab und unterstützen ihn während der Behandlungsphase.