Hintergründe, Wirkweisen und mögliche Nebenwirkungen der Chemo- und der Hormontherapie

Interview mit

Prof. Dr. med. Björn Hackanson

Geschäftsführender Oberarzt und Stellvertretender Direktor des Comprehensive Cancer Centers Augsburg (CCCA)

Sogenannte systemische Krebstherapien wirken im gesamten Körper und erreichen dadurch auch weit verstreute Krebszellen. So sind systemische Therapien oft die einzige Chance auf Heilung und dank intensiver Forschung und neuer Medikamente heute deutlich besser verträglich als früher. Trotzdem stellen sich Patienten viele Fragen, sie haben Ängste und Vorurteile: Wann ist eine systemische Behandlung notwendig? Wie wirken solche Therapien? Welche Nebenwirkungen können auftreten? Welche Chancen bieten sich dadurch?

Im Gespräch mit PD Dr. med. Björn Hackanson, werden solche Fragen allgemein beantwortet und Hintergründe, Wirkweisen und mögliche Nebenwirkungen der systemischen Krebstherapie beschrieben. Im Anschluss wird eine Übersicht mit Hinweisen zum Umgang mit verschiedenen Nebenwirkungen gegeben.

Was unterscheidet Krebs- von gesunden Zellen?

Krebszellen sind körpereigene Zellen, die sich so verändert haben, dass sie ihre ursprüngliche Aufgabe in dem erkrankten Organ nicht mehr erfüllen können. Sie teilen sich jetzt ungebremst, werden aber vom eigenen Immunsystem nicht als „falsch“ erkannt und können sich so immer weiter ausbreiten. Das macht den Körper krank.

In der Behandlung von Krebserkrankungen gibt es lokal wirkende Therapien wie beispielsweise Operationen oder Bestrahlungen und solche, die einen größeren Wirkungsbereich haben. Warum werden solche Therapien „systemisch“ genannt? Und wann müssen diese Therapien eingesetzt werden?

Systemisch bedeutet, dass die Therapie im gesamten Körper wirkt. Die Medikamente werden über das Blutsystem im gesamten Körper verteilt und erreichen somit jede einzelne Tumorzelle. Systemische Therapien sind die beste Behandlungsmöglichkeit, wenn sich die Krebserkrankung an mehreren Stellen im Körper ausgedehnt hat und auf einzelne Körperregionen begrenzte Therapieformen alleine nicht mehr ausreichen.

Welche systemischen Therapien werden am häufigsten angewendet, und wie wirken sie im Körper?

Die häufigsten systemischen Therapieformen sind die Chemo- und die Antikörpertherapie, die als Infusion verabreicht werden. Die Hormontherapie wird als Spritze unter die Haut oder als Tablette gegeben. Die neuere sogenannte zielgerichtete Therapie wird häufig auch in Tablettenform genommen. Mit systemischen Therapien können sich schnell teilende Krebszellen gestoppt und zerstört werden – unabhängig davon, wo sie sich befinden. Dadurch bieten solche Therapien teilweise auch dann noch Heilungschancen, wenn der Krebs bereits gestreut hat.

Inwiefern belasten systemische Therapien den Körper stärker als lokal wirksame Therapien?

Da systemische Therapien im gesamten Körper gegen Krebszellen wirken, können auch im gesamten Körper Nebenwirkungen auftreten. Wir beraten unsere Patienten zu möglichen Nebenwirkungen und wägen das Für und Wider der Behandlung gemeinsam sorgfältig ab. Lokale Therapien bergen nur ein lokales Nebenwirkungsrisiko, wirken aber auch nur am Ort der Behandlung und nicht im gesamten Körper. Deshalb sind sie nicht für jede Krebserkrankung geeignet.

Welche Chancen und Möglichkeiten bieten systemische Therapien?

In manchen Fällen bieten systemische Therapien die besten Chancen, beispielsweise bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen oder wenn der Tumor bereits Metastasen ausgebildet hat. Systemische Therapien können auch in solchen Fällen eine Heilung oder zumindest eine deutliche Lebensverlängerung bewirken. Der Behandlungserfolg von lokalen Therapien kann insgesamt deutlich verbessert werden, wenn zusätzlich systemische Therapieformen eingesetzt werden.

Welche systemischen Therapien funktionieren ambulant, und wann müssen Patienten stationär im Krankenhaus behandelt werden?

Patienten müssen heute nicht mehr zwingend lange Krankenhausaufenthalte auf sich nehmen. Außer bei hochdosierten Chemotherapien können viele systemischen Therapien ambulant gegeben werden, und der Patient kann größtenteils in seiner gewohnten Umgebung leben. Voraussetzung dafür ist unter anderem ein guter allgemeiner Gesundheitszustand des Patienten. Wenn Patienten lieber im Krankenhaus behandelt werden möchten, können systemische Therapien auch stationär erfolgen.

Auf welche systemischen Therapien hat sich das Universitätsklinikum Augsburg spezialisiert?

Am CCCA bieten wir alle Formen der Systemtherapie an. Außerdem profitieren Patienten bei uns in vielen Fällen von neuen Medikamenten, die sie im Rahmen von klinischen Studien erhalten können.

Welche Ängste bringen Patienten bei einer Chemotherapie mit, und wie begegnen Sie diesen?

Im Gespräch mit den Patienten gehen wir behutsam und mit viel Verständnis auf jede Sorge ein. Zwei Aspekte kommen dabei besonders oft zur Sprache: Haarausfall und Übelkeit beziehungsweise Erbrechen.

Haarausfall tritt nicht bei jeder Chemotherapie auf. Falls doch, können wir unsere Patienten damit beruhigen, dass die Haare nach dem Ende der Therapie in der Regel wieder nachwachsen. Um unseren Patienten mehr Wohlbefinden zu ermöglichen, verschreiben wir für die Zeit des Haarausfalls gerne einen Haarersatz.

Auch bei Übelkeit und Erbrechen haben wir viele Möglichkeiten, unseren Patienten zu helfen: Die neuen Medikamente gegen Übelkeit und Erbrechen sind mittlerweile so gut, dass Patienten diese Symptome meist fast nicht mehr wahrnehmen.

Generell sind unsere Patienten überrascht, wie gut sie die Chemotherapie insgesamt vertragen – hier hat sich wirklich viel getan in den letzten Jahren und Jahrzehnten.

Wieso werden trotz der Unterschiede zwischen Krebs- und gesunden Zellen gesunde Zellen durch die Chemotherapie geschädigt? Welche Folgen hat das für den Körper?

Die klassische Chemotherapie ist „nur“ darauf ausgelegt, die sich schnell teilenden Tumorzellen im Körper abzutöten. Dabei können auch gesunde Zellen wie zum Beispiel Haarfollikel, Schleimhautzellen oder die Keimzellen des Mannes und der Frau als Nebenwirkung geschädigt werden. Mögliche Folgen sind Haarausfall, Übelkeit, Schleimhautentzündung oder Unfruchtbarkeit. Zu allen Nebenwirkungen bleiben wir mit unseren Patienten in engem Kontakt und besprechen, welche Lösung es geben kann – wir wollen für unsere Patienten immer die höchstmögliche Lebensqualität aufrechterhalten, auch während der Therapie.

Und welche Nebenwirkungen gibt es bei der Hormontherapie? Bedeutet eine Hormontherapie immer eine Abnahme der Libido und Potenz? Was kann man dagegen tun?

Auch bei der Hormontherapie gilt: Wenn etwas als Nebenwirkung einer Therapie angegeben ist, bedeutet das nur, dass ein bestimmtes Symptom auftreten kann, aber nicht muss. Die meisten Nebenwirkungen treten sogar nur bei einem kleinen Teil der Patienten auf, müssen aber natürlich offen angesprochen werden. Ist ein Patient von einem Potenz- oder Libidoverlust betroffen, kann mit speziellen Medikamenten eine spürbare Besserung erreicht werden.

Gibt es auch anerkannte alternative systemische Therapien?

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, um die „schulmedizinische“ Therapie einer Krebserkrankung durch systemische naturheilkundlich-wirksame Mittel zu unterstützen, beispielsweise mit Mistelpräparaten. Auch hier ist eine enge Abstimmung mit dem behandelnden Arzt wichtig, um Wechselwirkungen – gegebenenfalls sogar eine Abschwächung der systemischen Tumortherapie – zu vermeiden.

Mögliche Nebenwirkungen: Wie können Sie damit umgehen, falls sie auftreten

Jede medizinische Behandlung kann Nebenwirkungen mit sich bringen. Gerade die Therapie von Krebserkrankungen wird häufig mit Nebenwirkungen verbunden, da die Behandlung oft auch gesunde Körperzellen beeinträchtigen kann. Unerwünschte Wirkungen sind dank großer Fortschritte in der Forschung heute aber oft vermeidbar oder gut behandelbar und belasten Patienten wenn überhaupt bei Weitem nicht mehr so stark wie noch vor einigen Jahren. Auch durch unterstützende Maßnahmen wie Sport, Ernährung und gegebenenfalls Medikamente gelingt es heute deswegen meistens, die Nebenwirkungen so gut abzumildern, dass die Lebensqualität wenig eingeschränkt wird.

Fatigue (Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Erschöpfung)

Bei Fatigue kommt es auf das richtige Maß an Schlaf und Bewegung an. Gönnen Sie sich ausreichend Schlaf und Ruhe, aber bleiben Sie trotzdem so aktiv wie möglich. Zu viel oder zu wenig Schlaf können Fatigue verstärken. Am besten probieren Sie aus, was Ihnen gut tut. Sorgen Sie für viel Zeit an der frischen Luft und regelmäßige Bewegung. Planen Sie Ihren Tagesablauf am besten danach, zu welchen Tageszeiten Sie besonders viel Energie haben. Auch eine ausgewogene und gesunde Ernährung kann sich positiv auf Ihr Wohlbefinden auswirken.

Übelkeit, Erbrechen und Durchfall

Übelkeit und Erbrechen können heute mit Medikamenten meist gut vermieden werden – dafür verschreibt Ihnen Ihr Arzt Medikamente. Wenn Sie dennoch an Übelkeit leiden, kann es helfen, vor der Behandlung nur eine kleine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Wichtig ist es auch, ausreichend zu trinken. Wenn die Übelkeit dann einsetzt, können Sie versuchen, tief und langsam zu atmen.

Grundsätzlich ist es ratsam, bei Übelkeit für eine ruhige Umgebung zu sorgen. Weite Kleidung ist praktisch, Entspannungsübungen bringen zusätzliche Ruhe. Vermeiden Sie unangenehme Gerüche, und lüften Sie regelmäßig für viel frische Luft im Raum.

Haarausfall

Sollte es zu Haarausfall kommen, sorgen Perücken, Tücher, Mützen und Hüte für mehr Wohlbefinden. Ein Augenbrauenstift kaschiert möglicherweise ausgefallene Augenbrauen. Manche gemeinnützige Gesellschaften bieten speziell für Krebspatienten kostenlose Kosmetik- und Haarseminare an. 

Infektionen (Schwächung des Immunsystems, Fieber)

Eine Infektion schwächt den Körper, und Sie fühlen sich schlapp. Deshalb ist es wichtig, sich zu schonen und Anstrengungen zu vermeiden. Am besten verzichten Sie für die Zeit einer akuten Infektion auf Sport und meiden den Kontakt zu anderen Menschen. Versuchen Sie, viel zu trinken und nur Leichtverdauliches zu essen, damit Ihr Körper nicht noch mehr belastet wird. Achten Sie ganz besonders auf Sauberkeit und Hygiene, um sich und Ihr Umfeld zu schützen. Verzichten Sie zeitweise auf rohe Lebensmittel, die Keime übertragen können. Keime sitzen häufig auch direkt auf der Schale von Obst und Gemüse. Deshalb ist es besser, Früchte und Co. zu schälen.

Irritationen der Nerven an Händen und Füßen (Handkribbeln, Taubheitsgefühle, Kälteempfindlichkeit, brennende/stechende Schmerzen)

Manche Krebsmedikamente können zu Schäden an den Nervenbahnen führen. Diese sind meist nur vorübergehend – aber im akuten Fall können sie Taubheitsgefühle oder Überempfindlichkeiten verursachen. Wenn Sie davon betroffen sind, kleiden Sie sich am besten warm, und vermeiden Sie extreme Temperaturen. Bei Fußproblemen können stabile Schuhe einen möglichst sicheren Stand garantieren.